Freier Warenverkehr in der EU und nationale Vorschrift, die die ausschließliche Verwendung einer bestimmten Sprache für die Erstellung von Rechnungen vorschreibt: EuGH vom 21.6.2016, Rechtssache C-15/15
Ausgangsfall: Die italienische Gesellschaft GPPH mit Sitz in Mailand bestritt die Gültigkeit von Rechnungen, die ihr (damaliger) Vertragspartner, die im niederländisch sprechenden Teil Belgiens niedergelassene Gesellschaft New Valmar in italienischer Sprache ausgestellt hatte.
Die einschlägige flämische Gesetzgebung sieht vor, dass „[d]ie für die sozialen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und für die gesetzlich vorgeschriebenen Urkunden und Papiere der Unternehmen zu gebrauchende Sprache … das Niederländische [ist]“.
… „Dokumente und Handlungen, die gegen die Bestimmungen dieses Dekrets verstoßen, sind nichtig. Die Nichtigkeit wird durch das Gericht von Amts wegen festgestellt“.
Die Firma New Valmar bestreitet nicht, dass die Rechnungen nicht die flämische Gesetzgebung respektieren würden, macht jedoch geltend, dass diese die Regeln über den freien Warenverkehr in der EU verletzen würde.
Die mit dem Ausgangsfall befasste Rechtbank van koophandel te Gent (Handelsgericht Gent) hat deshalb das nationale Verfahren ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) eingeleitet.
Der Gerichtshof der Europäischen Union stellt in seiner Entscheidung vom 21.6.2016 fest, dass die in Frage stehende gesetzliche Sprachenregelung gegen Art. 35 AEUV verstößt.
Artikel 35 AEUV regelt, dass „mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten sind“. „Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren hat aufgrund der Rechtsunsicherheit, die sie erzeugt, eine beschränkende Wirkung auf den Handel, die davon abhalten könnten, vertragliche Beziehungen mit einem im niederländischen Sprachgebiet des Königreichs Belgiens ansässigen Unternehmen einzugehen oder fortzusetzen“ (Rechtssache C-15/15, Rn. 42).
Nachdem der Gerichtshof die Verletzung von Art. 35 AEUV festgestellt hat, muss er sich systemgerecht die Frage stellen, ob die Sprachenregelung der flämischen Gesetzgebung möglicherweise gerechtfertigt werden kann. „Nach gefestigter Rechtsprechung kann eine nationale Maßnahme, die die Ausübung der garantierten Grundfreiheiten einschränkt, nur dann zugelassen werden, wenn sie ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt, geeignet ist, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (Rechtssache C-15/15, Rn. 48).
Die belgische Regierung rechtfertigte die Sprachenregelung damit, dass diese zum einen den Gebrauch der Amtssprache des betreffenden Sprachgebietes fördern, und zum anderen die durchgeführten Mehrwertsteuerkontrollen gewährleistet würde.
Der Gerichtshof hatte bereits früher entschieden, dass die Förderung des Gebrauchs einer der Amtssprachen eines Mitgliedsstaats ein berechtigtes Ziel sei, welches eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen würde. Ebenso hat er anerkannt, dass die Wirksamkeit der Wahrung der Steueraufsicht im Allgemeininteresse läge, was ebenfalls zu einer Rechtfertigung eines Verstoßes gegen EU-Recht führen könne.
Ein Verstoß gegen die im AEUV verankerten Grundfreiheiten, der zur Erreichung bestimmter, vom Gerichtshof anerkannten Ziele gerechtfertigt werden kann, muss jedoch immer in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Zielen stehen, um den Anforderungen des EU-Rechts gerecht zu werden.
Hierzu führt der Gerichtshof in seiner Entscheidung aus: „Im vorliegenden Fall würde aber, wie der Generalanwalt in den Nrn. 90 bis 92 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Regelung eines Mitgliedstaats, die für die Abfassung von Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte nicht nur die Verwendung der Amtssprache dieses Mitgliedstaats vorschriebe, sondern darüber hinaus auch eine verbindliche Fassung solcher Rechnungen in einer anderen, allen Vertragsparteien geläufigen Sprache zuließe, den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigen als die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung und wäre dennoch geeignet, die Erreichung der mit dieser Regelung verfolgten Ziele zu gewährleisten (vgl. entsprechend Urteil vom 16. April 2013, Las, C‑202/11, EU:C:2013:239, Rn. 32).
Was das Ziel betrifft, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten, hat die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen, dass die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nach einem Verwaltungsrundscheiben vom 23. Januar 2013 nicht allein aus dem Grund verweigern dürfe, dass die gesetzlichen Angaben auf einer Rechnung in einer anderen Sprache als der niederländischen abgefasst worden seien, was vermuten lässt, dass der Gebrauch einer solchen anderen Sprache die Erreichung dieses Ziels nicht hindert“.
Daraus folgt, dass eine Sprachregelung wie im vorliegenden Fall über das hinausgeht, was zur Erreichung der oben genannten Ziele erforderlich ist und daher nicht als verhältnismäßig angesehen werden kann.
Der Gerichtshof hat deshalb entschieden, dass
„Art. 35 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung einer föderalen Einheit eines Mitgliedstaats wie der Flämischen Gemeinschaft des Königreichs Belgien entgegensteht, die jedes Unternehmen, das seinen Betriebssitz im Hoheitsgebiet dieser Einheit hat, unter Androhung der vom Gericht von Amts wegen festzustellenden Nichtigkeit verpflichtet, sämtliche Angaben auf Rechnungen bezüglich grenzüberschreitender Geschäfte ausschließlich in der Amtssprache dieser Einheit abzufassen“