Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 7. Juli 2016 (Rechtssache C-222/15) zu den Themen Gültigkeit einer in allgemeinen Bedingungen enthaltenen Klausel, Einigung der Vertragsparteien in Bezug auf diese Bedingungen und Gültigkeit und Genauigkeit einer solchen Klausel.

Zwischen der französischen Firma Alstom Power Thermal Services und der ungarischen Firma Höszig Kft kam es zum Streit über die Erfüllung von Verträgen. Daraufhin erhob Höszig Klage vor einem ungarischen Gericht, welches ihrer Meinung nach als Gericht des Erfüllungsortes der vereinbarten Leistungen zuständig war. Höszig war der Auffassung, dass die von Alstom verwendeten allgemeinen Bedingungen nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden sind.

Insbesondere  ging es dabei um Ziff. 23.1 der allgemeinen Bedingungen, die bestimmt:

„Der Auftrag und seine Auslegung richten sich nach französischem Recht. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf findet keine Anwendung.

Für Streitigkeiten wegen oder im Zusammenhang mit der Gültigkeit, der Beschränkung, der Erfüllung oder der Beendigung des Auftrags, die nicht gütlich beigelegt werden können, einschließlich der Eilverfahren, der Entscheidungen über die aufschiebende Wirkung sowie vorläufige Maßnahmen, sind die Gerichte der Stadt Paris ausschließlich und endgültig zuständig.“

Höszig legt im Wesentlichen dar, „es sei offenkundig nicht im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Rom I-Verordnung  gerechtfertigt, die Wirkung ihres Verhaltens nach französischem Recht zu bestimmen, da die von ihr gefertigten Erzeugnisse den Gegenstand der Verträge bildeten, der Erfüllungsort ihre ungarische Niederlassung sei und der gesamte Fertigungsprozess bis zur Übergabe an den Auftraggeber in Ungarn stattgefunden habe“. Daher müsse gem. Art. 4 Abs. 1 der Rom I-Verordnung auf das Vertragsverhältnis und damit auch die Frage der Einbeziehung der allgemeinen Bedingungen ungarisches Recht angewendet werden.

Darüber hinaus trägt  Höszig  vor,  dass – da die allgemeinen Bedingungen kein Bestandteil der Verträge seien – nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel I-Verordnung  (jetzt: Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Brüssel Ia-Verordnung) die ungarischen Gerichte zuständig seien. Und selbst wenn die Klausel Vertragsbestandteil geworden wäre, wäre sie nach Art. 23 Abs. der Brüssel I-Verordnung (jetzt: Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung) nicht wirksam, da die „Gerichte von Paris“ bezeichnet wurden. Die Stadt Paris sei jedoch kein Staat und es würde auf kein bestimmtes Gericht, sondern auf eine Gesamtheit von Gerichten verwiesen werden, die sich in der Stadt Paris befinden.

Alstom widersetzte sich den Argumenten von Höszig und trug vor, dass die Klauseln Vertragsbestandteil geworden sind und damit ein ungarisches Gericht nicht nur unzuständig sei, sondern auch französisches Recht Anwendung finden würde. Die Gericht der Stadt Paris seien Gerichte eines Mitgliedsstaates, nämlich der französischen Republik. Höszig würde nicht den 14. Erwägungsgrund der Brüssel I-Verordnung berücksichtigen.

Unter diesen Umständen hat der ungarische Gerichtshof Pécs dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

« Zur Rom‑I-Verordnung:

Kann die Formulierung „[e]rgibt sich … aus den Umständen“ in Art. 10 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung von dem Gericht eines Mitgliedstaats dahin ausgelegt werden, dass die Prüfung der für die Beurteilung, ob die unterbliebene Zustimmung gerechtfertigt ist, nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei „zu berücksichtigenden Umstände“ die Umstände des Vertragsabschlusses, den Vertragsgegenstand und die Erfüllung des Vertrags umfasst?

Ist die Wirkung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung, die sich aus der im ersten Gedankenstrich dargestellten Situation ergibt, dahin auszulegen, dass, wenn sich aufgrund der Berufung einer Partei auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts aus den zu berücksichtigenden Umständen ergibt, dass die Zustimmung zu dem nach Abs. 1 anzuwendenden Recht keine gerechtfertigte Wirkung des Verhaltens dieser Partei war, das Gericht das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Vertragsbestimmung nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, die sich darauf berufen hat, beurteilen muss?

Kann das Gericht dieses Mitgliedstaats Art. 10 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung dahin auslegen, dass es in seinem Ermessen steht – unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles ‒, festzustellen, ob angesichts der zu berücksichtigenden Umstände die Zustimmung zu dem nach … Abs. 1 anzuwendenden Recht keine gerechtfertigte Wirkung des Verhaltens dieser Partei ist?

–Muss, wenn sich eine Partei – gemäß Art. 10 Abs. 2 der Rom‑I-Verordnung – hinsichtlich der unterbliebenen Zustimmung auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts beruft, das Gericht eines Mitgliedstaats das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts dieser Partei in dem Sinne berücksichtigen, dass nach dem Recht dieses Staates aufgrund der angeführten „Umstände“ eine Zustimmung zu dem ausbedungenen Recht von Seiten dieser Partei kein gerechtfertigtes Verhalten war?

Verstößt in diesem Fall die Auslegung durch das Gericht eines Mitgliedstaats, nach der die Prüfung der für die Beurteilung, ob die unterbliebene Zustimmung gerechtfertigt ist, zu berücksichtigenden „Umstände“ den Vertragsabschluss, den Vertragsgegenstand und die Erfüllung des Vertrags umfasst, gegen das Unionsrecht?

Zur Brüssel‑I-Verordnung:

Verstößt ein Gericht eines Mitgliedstaats mit seiner Auslegung gegen Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung, wenn es die Bezeichnung eines genau bestimmten Gerichts verlangt, oder reicht es – in Anbetracht der im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Erfordernisse – aus, dass der Wille oder die Absicht der Parteien eindeutig aus dem Wortlaut hervorgeht?

Ist eine Auslegung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, der zufolge die Gerichtsstandsklausel in den Allgemeinen Beschaffungsbedingungen einer der Parteien, mit der diese ausbedungen haben, dass für Streitigkeiten wegen oder im Zusammenhang mit der Gültigkeit, der Erfüllung oder der Beendigung des Auftrags, die zwischen ihnen nicht gütlich beigelegt werden können, die Gerichte einer Stadt in einem bestimmten Mitgliedstaat – nämlich die Gerichte der Stadt Paris – ausschließlich und endgültig zuständig sein sollen, hinreichend genau ist, weil aus ihrem Wortlaut – unter Berücksichtigung der im 14. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Erfordernisse – der Wille oder die Absicht der Parteien, was den ausbedungenen Mitgliedstaat betrifft, eindeutig hervorgeht, mit Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung vereinbar?“

Der Gerichtshof prüft zunächst die zweite Vorlagefrage zur Zuständigkeit des Gerichts.

„Die Auslegung einer Gerichtsstandsklausel zur Bestimmung der in ihren Geltungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten sei zwar Sache des nationalen Gerichts , vor dem sie geltend gemacht wird (Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die von den Vertragsparteien in einer solchen Klausel festgelegte Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats nach dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung  sei aber grundsätzlich ausschließlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2015, El Majdoub, C‑322/14, EU:C:2015:334, Rn. 24).

Der Begriff „Gerichtsstandsvereinbarung“ sei ein autonomer Begriff und nicht eine einfache Verweisung auf das innerstaatliche Recht.  Das Ziel der Vorschriften über die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen sei die Schaffung einheitlicher Regeln für die internationale gerichtliche Zuständigkeit. Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-Verordnung sähe vor allem Formvorschriften vor.

Darüber hinaus sei eine inhaltliche Voraussetzung zur Gültigkeit einer Gerichtsstandsklausel notwendig, nämlich dass die Klausel ein bestimmtes Rechtsverhältnis betreffen müsse. Die inhaltliche Voraussetzung sei vorliegend erfüllt.

Es müsse auch sichergestellt werden, dass eine Willenseinigung der Parteien tatsächlich vorliegt. Dies ist zum Schutz einer schwächeren Vertragspartei gerechtfertigt.  Das erkennende Gericht müsse vorab prüfen, ob die die Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen sein muss.

Der Gerichtshof hatte bereits früher mehrmals entschieden, dass eine solche Klausel zulässig ist, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext selbst ausdrücklich auf die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden allgemeinen Bedingungen Bezug nimmt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 1999, Castelletti, C‑159/97, EU:C:1999:142, Rn. 13, und vom 20. April 2016, Profit Investment SIM, C‑366/13, EU:C:2016:282, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dies gelte jedoch nur für den Fall eines „deutlichen Hinweises, dem eine Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgehen kann, und nur, wenn feststünde, dass die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden allgemeinen Bedingungen der anderen Vertragspartei tatsächlich zugegangen seien.

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Gerichtsstandsvereinbarung den in Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-Verordnung genannten Formerfordernissen entsprechen würde.

Dies entspricht auch den Schussanträgen des Generalanwaltes, der hervorgehoben hat, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus der Erfüllung der in Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung aufgestellten Formerfordernisse das Vorliegen einer „Vereinbarung“ zwischen den Parteien im Sinne von Art. 23 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung hergeleitet werden könne.

Hinsichtlich der inhaltlichen Genauigkeit einer Gerichtsstandsklausel in Bezug auf die Bestimmung eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedsstaates hat der Gerichtshof bereits früher entschieden,  dass eine Gerichtsstandsklausel  nicht so formuliert sein müsses, dass sich das zuständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen ließe. Es genüge nämlich, wenn die Klausel die objektiven Kriterien nenne, über die sich die Parteien bei der Bestimmung des Gerichts oder der Gerichte, die über ihre bereits entstandenen oder künftigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden sollen, geeinigt haben. Diese Kriterien, die so genau sein müssten, dass das angerufene Gericht feststellen könne, ob es zuständig sei, können gegebenenfalls durch die besonderen Umstände des jeweiligen Falles konkretisiert werden.

Die vorliegende Klausel würde zwar nicht ausdrücklich den Mitgliedsstaat bezeichnen, dessen Gerichte zuständig sein sollen, doch werden die Gericht der Hauptstaat eines Mitgliedsstaats genannt, dessen Recht auf das Vertragsverhältnis Anwendung finde. Es bestünde also kein Zweifel daran, dass mit dieser Klausel eine ausschließliche Zuständigkeit auf die Gerichte dieses Mitgliedsstaats übertragen werden sollten.

Hinsichtlich der ersten Vorlagefrage erklärte der Gerichtshof, dass gemäss Art. 1 Abs. der Rom I-Verordnung diese nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden sei.  Darüber hinaus sei das vorlegende Gericht nicht zuständig, so dass es damit auch nicht über die Gültigkeit der streitigen Klausel, nach der französisches Recht anzuwenden sei, zu entscheiden habe.  Die erste Frage sei daher vom Gerichtshof nicht zu beantworten.

Der Gerichtshof hat deshalb entschieden:

Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in den Allgemeinen Beschaffungsbedingungen des Auftraggebers – die in den Dokumenten, in denen die Verträge zwischen den Parteien niedergelegt sind, erwähnt werden und beim Abschluss der Verträge übermittelt worden sind – geregelt ist und als zuständige Gerichte diejenigen einer Stadt in einem Mitgliedstaat benennt, den Anforderungen dieser Vorschrift in Bezug auf die Einigung der Parteien und die inhaltliche Genauigkeit einer solchen Klausel genügt.

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