Anwalt Frankreich EU-Recht: Gerichtshof der Europäischen Union – Rechtsprechungsübersicht 2024

Ausgewählte Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union


Verfahrensart: Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV

Vorlegendes Gericht: Tribunale di Lecce (Italien)

Thema: Sozialpolitik – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 7 – Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Finanzielle Vergütung für nicht genommenen Jahresurlaub, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird – Nationale Regelung, die die Zahlung dieser Vergütung verbietet, wenn ein im öffentlichen Dienst beschäftigter Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch aus dem Dienst ausscheidet – Eindämmung der öffentlichen Ausgaben – Organisatorische Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers“

Parteien: BU gegen Comune di Copertino

Sachverhalt: Ein im öffentlichen Dienst tätiger Arbeitnehmer war von Februar 1992 bis Oktober 2016 als Verwaltungsleiter bei der italienischen Gemeinde Copertino beschäftigt. Er schied freiwillig aus dem Dienst aus, um in den vorzeitigen Ruhestand einzutreten. Für 79 nicht genommen Urlaubstage verlangte er eine finanzielle Vergütung. Die Gemeinde Copertino verwarf dieses Verlangen auf der Grundlage von italienischen Rechtsvorschriften, wonach die im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitnehmer anstelle des bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs in keinem Fall Anspruch auf eine finanzielle Vergütung haben. Dagegen wandte sich der Arbeitnehmer.

Vorlagefragen des Tribunale de Lecce:

  1. Sind Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen (d. h. Art. 5 Abs. 8 des Decreto-legge Nr. 95) entgegenstehen, die zugunsten der Eindämmung öffentlicher Ausgaben sowie wegen organisatorischer Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers ein Urlaubsabgeltungsverbot im Fall der Eigenkündigung eines im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitnehmers vorsieht?
  • Sind, falls die erste Vorlagefrage bejaht wird, Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31

Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass ein Beschäftigter des öffentlichen Dienstes nachweisen muss, dass es ihm nicht möglich war, den Urlaub während des laufenden Arbeitsverhältnisses in Anspruch zu nehmen?

Urteilstenor/Entscheidung des Gerichtshofs der EU:

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die zugunsten der Eindämmung öffentlicher Ausgaben sowie wegen organisatorischer Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers das Verbot vorsehen, dem Arbeitnehmer eine finanzielle Vergütung für sowohl im letzten Jahr der Beschäftigung als auch in den Vorjahren erworbenen, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf eigenen Wunsch beendet und nicht nachgewiesen hat, dass er den Urlaub aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht während des Arbeitsverhältnisses genommen hat.

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Anwalt Frankreich EU-Recht: Übersicht zu den Zuständigkeitsregeln nach der Brüssel Ia-Verordnung

Die Brüssel I a-Verordnung (VO (EU) Nr. 1215/2012) regelt seit dem 10. Januar 2015 (vorher: Brüssel I-VO) innerhalb der EU, welches Gericht in Zivil- und Handelssachen international zuständig ist, wie Urteile anerkannt und vollstreckt werden.

  1. Sachlicher Anwendungsbereich der Brüssel Ia-Verordnung

Der sachliche Anwendungsbereich der Brüssel Ia-Verordnung ist in Art. 1 geregelt.

Danach finden gem. Art. 1 Abs. 1 die Regeln der Brüssel Ia-Verordnung für Zivil- und Handelssachen Anwendung. Sie gilt jedoch insb. nicht für Steuer- und Zollsachen, Verwaltungsrecht  oder im Rahmen von acta iure imperii (Haftung des Staates im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte.

Weitere Bereiche, in denen die Brüssel Ia-Verordnung nicht anzuwenden ist, sind in Art. 1 Abs. 2 geregelt, wie z.B. der Personenstand, das Güterrecht (im Rahmen des Eherechts), Insolvenzverfahren, Schiedsverfahren, Unterhaltspflichten (Familienrecht), das Erbrecht.

  • Allgemeiner Gerichtsstand (Art. 4 ff.)

Der allgemeine internationale Gerichtsstand ist in Artikel 4 geregelt.

  • Grundregel:  Der Beklagte kann an seinem Wohnsitz verklagt werden, vorbehaltlich anderer Vorschriften der Brüssel Ia-Verordnung und ohne Rücksicht auf dessen Staatsangehörigkeit
    • Natürliche Person: Ein in Paris lebender Franzose kann daher in Frankreich vor dem nach nationalem Recht sachlich und örtlich zuständigen Gericht verklagt werden. Der Begriff Wohnsitz bestimmt sich nach nationalem Recht.
    • Juristische Person → Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung.
  • Gilt auch bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit
  • Besondere Zuständigkeiten

Die sog. besonderen Zuständigkeiten ergeben sich aus den Artikeln 7 – 9 derBrüssel I a-VO. Es handelt sich um Ausnahmen vom allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 (Wohnsitz des Beklagten). Sie sollen vor allem eine enge Verbindung zwischen Streitgegenstand und dem angerufenen Gericht sicherstellen.

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Anwalt Frankreich Handelsrecht | Merkmale eines Handelsvertretervertrages: Urteil der Cour de cassation – Kammer für Handelssachen  vom 24.4.2024 (Cass. com., 24 avril 2024, n° 23-12.643, F-D)

Handelsvertreter in Frankreich

Merkmale eines Handelsvertretervertrages: Urteil der Cour de cassation – Kammer für Handelssachen  vom 24.4.2024 (Cass. com., 24 avril 2024, n° 23-12.643, F-D)

Im von der französischen Cour de cassation zu entscheidenden Fall ging es um folgenden Sachverhalt:

Zwischen der Firma B. Braun (spezialisiert auf die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Medizinprodukten) und der Firma I-Novsurgeiner wurde ein als „Dienstleistungsvertrag“ bezeichneter Vertrag (inkl. Zusatzvereinbarungen) geschlossen.

Die Firma I-Novsurgeiner wurde beauftragt ab 1.12.2025 Leistungen zu erbringen die darin bestanden die besten Kontakte innerhalb von Krankenhäusern zu identifizieren und die Personen anzusprechen, um die Produkte der Firma B. Braun vorzustellen, diese Kontakte als Kunden zu akquirieren und mit ihnen über die Durchführung von Tests zu verhandeln, die Tests durchzuführen und die technischen Qualitäten der Produkte zu präsentieren, die Kunden in der Verwendung der Produkte zu schulen und ihnen die Betreuung nach dem Verkauf zu gewährleisten.

Die Firma B. Braun hatte am 26. Juli 2018 den Vertrag mit Wirkung zum 31. Dezember 2018 gekündigt. Daraufhin verklagte die Firma I-Novsurg die Firma B. Braun auf Ersatz ihres Schadens wegen einseitigen Abbruchs der Geschäftsbeziehung und beantragte die Umqualifizierung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags in einen Handelsvertretervertrag.

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Anwalt Frankreich EU-Recht: Anwendbares Recht nach der Rom I-Verordnung – Ein Überblick

Anwendbares Recht nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-Verordnung)

Die Rom I-Verordnung bildet seit ihrem Inkrafttreten am 17.12.2009 das zentrale unionsrechtliche Instrument zur Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts. Sie löste das frühere EVÜ (Übereinkommen von Rom 1980) ab und gilt in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark.

Die Verordnung regelt nicht die internationale Zuständigkeit oder die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (siehe hierzu die Verordnung Nr. 1215/2012 = Brüssel Ia-Verordnung), sondern ausschließlich die Kollisionsnormen für Vertragsverhältnisse.

1. Allgemeiner Anwendungsbereich

Nach Art.1 Abs.1 erfasst die Rom I-Verordnung vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, gilt jedoch insb. nicht für Steuer- und Zollsachen sowie für verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.  Der Anwendungsbereich ist damit relativ weit, Ausnahmen sind in Art.1 Abs.2–4 geregelt. Danach sind vom Anwendungsbereich insb. ausgenommen:

  • Fragen des Personenstands und der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen
  • Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis und aus ehelichen Güterständen
  • Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks
  • Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen
  • Fragen des Gesellschafts- und Vereinsrechts und des Rechts der juristischen Personen
  • Fragen das Vertretungsrecht betreffend
  • Trusts
  • Schuldverhältnisse vor Abschluss eines Vertrages. Diese fallen unter Artikel 12 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf aussergerichtliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung) = Schulden bei Vertragsschluss
  • Bestimmte Versicherungsverträge
  • Beweis- und Verfahrensrecht (mit Ausnahme von Art. 18 der Rom I-Verordnung)

2. Prinzip der Parteiautonomie

Das Grundprinzip der Rom I-Verordnung ist die Parteiautonomie gemäß Art.3. Parteien eines Vertrags können frei das auf ihren Vertrag anwendbare Recht wählen. Diese Wahl kann ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Vertragsbestimmungen oder den Umständen des Falls ergeben.  Die Rechtswahl kann sich auf den ganzen Vertrag oder nur auf bestimmte Teile davon beziehen.

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Anwalt Frankreich | Zivilrechtliche Forderungen bis 5 000 €: Der Versuch, eine gütliche Einigung herbeizuführen wird Pflicht

Gerichtsverfahren in Frankreich

Ab dem 1.10.2023  ist jeder Gläubiger von zivilrechtlichen Forderungen bis zu 5.000 € verpflichtet, zunächst eine gütliche Einigung zu versuchen, nachdem eine Zahlungsaufforderung bereits erfolglos geblieben ist.  Erst nach dem Scheitern des gütlichen Einigungsverfahrens, hat er das Recht, seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen zu lassen, entweder im Rahmen eines Mahnverfahrens oder eines klassischen streitigen Verfahrens. Der Schlichtungsversuch ist Pflicht, andernfalls ist die Klage vor Gericht unzulässig.

Der Versuch einer gütlichen Einigung kann entweder durch eine Schlichtung, die von einem Schlichter durchgeführt wird, oder durch eine Mediation erfolgen. Da der Mediator jedoch kostenpflichtig ist, wird die häufigste, einfachste und kostengünstigste Möglichkeit die Inanspruchnahme eines offiziellen Schlichters sein.

Wichtig: Vor dem Handelsgericht ist kein Schlichtungsversuch für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich. Wenn der Schuldner also ein Handwerker, ein Kaufmann oder eine Handelsgesellschaft ist, kann der Gläubiger direkt beim Handelsgericht Klage erheben

Anwalt Frankreich Handelsrecht | Welche Unterlagen kann ein Handelsvertreter zur Berechnung seines Provisionsansspruchs vom Unternehmen herausverlangen?

Handelsvertreter in Frankreich

Ein Handelsvertreter hat das Recht, vom Unternehmen die Herausgabe aller Informationen zu verlangen, insbesondere Auszüge aus den Buchhaltungsunterlagen, die zur Überprüfung der Höhe der ihm zustehenden Provisionen erforderlich sind. Dieses Recht darf nicht zum Nachteil des Handelsvertreters eingeschränkt werden.

Das hat die Cour de cassation (französischer Kassationsgerichtshof) am 17.5.2023 entschieden (Cass. com., 17 mai 2023, n° 22-11.463, F-D).

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 3. Oktober 2014 wurde einem Handelsvertreter ein bestimmtes aus 3 französischen Departements bestehendes Gebiet zugeteilt, sowie eine Kundenliste in einem vierten Departement. 

Am 6. November 2017 kündigte das Unternehmen den Handelsvertretervertrag unter Berufung auf schwere Verfehlungen des Handelsvertreters.

Der Handelsvertreter verklagte daraufhin das Unternehmen auf Zahlung von Kündigungs- und Abfindungszahlungen und auf Herausgabe bestimmter Buchhaltungsunterlagen.

Das Berufungsgericht von Nîmes hatte am 24.11.2021 den Antrag des Handelsvertreters auf Übermittlung der Kopien aller Rechnungen, die seit Abschluss des strittigen Vertrags an Kunden in seinem geografischen Gebiet ausgestellt worden waren, mit der Begründung zurückwiesen, dass der Handelsvertretervertrag in dem betreffenden geografischen Gebiet nicht ausschliesslich war.

Die Cour de cassation zensierte dieses Urteil: Ein Handelsvertreter hat das Recht, vom Unternehmen die Herausgabe aller Informationen zu verlangen, insbesondere Auszüge aus den Buchhaltungsunterlagen, die zur Überprüfung der Höhe der ihm zustehenden Provisionen erforderlich sind. Dieses Recht darf nicht zum Nachteil des Handelsvertreters eingeschränkt werden.

Anwalt Frankreich EU-Recht | Gerichtshof der Europäischen Union: Rechtsprechungsübersicht 2022 (ausgewählte Urteile)

Urteil des Gerichtshofs vom 8. März 2022 in der Rechtssache C‑205/20

Verfahrensart: Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV

Vorlegendes Gericht: Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich)

Thema: Entsendung von Arbeitnehmern – Freier Dienstleistungsverkehr – Entsendung von Arbeitnehmern – Richtlinie 2014/67/EU – Art. 20 – Sanktionen – Verhältnismäßigkeit – Unmittelbare Wirkung – Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts

Parteien: NE gegen Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, unter Beteilung der Finanzpolizei Team 91

Sachverhalt: Die slowakische Gesellschaft CONVOI, vertreten durch NE, entsandte Arbeitnehmer an eine Gesellschaft mit Sitz in Fürstenfeld (Österreich). Im  Juni 2018 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (Österreich) eine Geldstrafe gegen NE in Höhe von 54 000 Euro wegen der Nichteinhaltung mehrerer im österreichischen Arbeitsrecht vorgesehener Verpflichtungen u. a. zur Aufbewahrung und Zurverfügungstellung von Lohn- und Sozialversicherungsunterlagen. NE erhob gegen dieses Straferkenntnis Beschwerde beim vorlegenden Landesverwaltungsgericht Steiermark.

Vorlagefragen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark:

  1. Ist das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 festgelegte und in den Beschlüssen vom 19. Dezember 2019, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (C‑645/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1108), sowie vom 19. Dezember 2019, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (C‑140/19, C‑141/19 und C‑492/19 bis C‑494/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1103), ausgelegte Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen eine unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmung?
  2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Ermöglicht und erfordert die Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts im Einklang mit dem Unionsrecht, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte und Verwaltungsbehörden die im vorliegenden Fall anzuwendenden innerstaatlichen Straftatbestände um die in den Beschlüssen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2019, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (C‑645/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1108), sowie vom 19. Dezember 2019, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (C‑140/19, C‑141/19 und C‑492/19 bis C‑494/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1103), festgelegten Kriterien der Verhältnismäßigkeit ergänzen, ohne dass eine neue innerstaatliche Rechtsvorschrift erlassen worden ist?

Urteilstenor/Entscheidung des Gerichtshofs der EU:

  1. Art. 20 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt‑Informationssystems („IMI-Verordnung“) hat unmittelbare Wirkung, soweit er verlangt, dass die von ihm vorgesehenen Sanktionen verhältnismäßig sind, und kann somit vom Einzelnen vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat, der diesen Artikel unzulänglich umgesetzt hat, geltend gemacht werden.
  2. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er die nationalen Behörden nur insoweit verpflichtet, eine nationale Regelung, von der ein Teil gegen das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehene Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen verstößt, unangewendet zu lassen, als dies erforderlich ist, um die Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu ermöglichen.

Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 2022 in der Rechtssache C‑572/21

Verfahrensart: Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV

Vorlegendes Gericht: Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden)

Thema: Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen Drittstaat , insbesondere Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Elterliche Verantwortung – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Art. 8 Abs. 1 und Art. 61 Buchst. a – Allgemeine Zuständigkeit – Grundsatz der perpetuatio fori – Im Lauf des Verfahrens erfolgte Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in einen Drittstaat, der Vertragspartei des Haager Übereinkommens von 1996 ist“

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Handelsvertreter in Frankreich: Die Absichtserklärung, bei Beendigung des Handelsvertretervertrages Schadensersatzansprüche geltend zu machen, unterliegt keinen besonderen Formvorschriften

Handelsvertreter in Frankreich

Nach Beendigung des Handelsvertretervertrages kann der Handelsvertreter unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche gegenüber dem Unternehmen geltend machen. Nach Artikel L. 134-12 Absatz 2 des code de commerce (franz. Handelsgesetzbuch) verliert der Handelsvertreter das Recht auf Ausgleich, wenn er dem Unternehmer nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertrags mitgeteilt hat, dass er seine Rechte geltend machen will. Diese Frist beginnt mit der tatsächlichen Beendigung der Vertragsbeziehungen und nicht mit dem Ablauf der Kündigungsfrist (Cass. com., 18. Januar 2011 Nr. 09-72.510, F-P+B)

Die Cour de cassation (höchstes französisches Gericht für Zivil- und Strafsachen) hat am 23.3.2022 daran erinnert (Cass. com., 23. März 2022, Nr. 20-11.701, F-D), dass die Absichtserklärung keiner besonderen Form bedarf (siehe hierzu auch bereits Cass. com., 15. März 2017, Nr. 15-20.115, F-D)

Sie muss allerdings unmissverständlich sein. So gilt beispielsweise ein Brief, in dem der Handelsvertreter lediglich die Beendigung des Vertrages zur Kenntnis nimmt und dem Unternehmer vorwirft, seine Vergütungsbedingungen geändert zu haben und darauf hinweist, dass er vor den zuständigen Gerichten Schadenersatz fordern werde, nicht als Mitteilung seiner unmissverständlichen Absicht, die ihm aufgrund der Beendigung des Handelsvertretervertrags zustehende Entschädigung zu fordern (Cass. com., 1. März 2017, Nr. 15-12.482, F-D)

Anwalt Frankreich Gesellschaftsrecht | Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in Frankreich

Verlegung des Gesellschaftssitzes in Frankreich

Was ist der Sitz einer Gesellschaft?

Der im französischen Handelsregister (registre du commerce et des sociétés, RCS) eingetragene Sitz entspricht der Adresse des rechtlichen „Wohnsitzes“ der Gesellschaft. Er wird zum Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft in der Satzung festgelegt und kann während der Lebensdauer des Unternehmens verlegt werden.

Der Sitz der Gesellschaft ist der Ort der tatsächlichen Verwaltung und Tätigkeit der Organe der Gesellschaft.

Er kann sich vom Ort der Betriebsstätte des Unternehmens, d. h. dem Ort, an dem seine Tätigkeit ausgeübt wird, unterscheiden.

Der im Handelsregister eingetragene Sitz einer Gesellschaft bestimmt

  • die örtliche Zuständigkeit des Gerichts,
  • die örtliche Zuständigkeit des Handelsgerichts, dessen Geschäftsstelle die Formalitäten während des gesamten Bestehens der Gesellschaft entgegennimmt und bearbeitet (insbesondere: Änderung der Satzung, jährliche Einreichung des Jahresabschlusses …),
  • die Nationalität der Gesellschaft und das auf sie anwendbare Recht (französisches Recht für eine Gesellschaft mit Sitz in Frankreich).

Es gibt viele Gründe, warum ein Gesellschaftssitz verlegt werden muss.

Wohin kann der Sitz einer französischen Gesellschaft verlegt werden?

Geographisch gesehen kann dieser Wechsel im Zuständigkeitsbereich desselben Handelsregisters oder in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Handelsregisters erfolgen. Es ist auch möglich, den Sitz ins Ausland zu verlegen, wobei dann jedoch die im jeweiligen Land geltenden Vorschriften beachtet werden müssen. 

Wer entscheidet über die Verlegung des Sitzes einer französischen Gesellschaft?

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Anwalt Frankreich EU-Recht | Gerichtshof der Europäischen Union: Rechtsprechungsübersicht 2021 (ausgewählte Urteile)

Verfahrensart: Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV

Vorlegendes Gericht: Landesgericht Korneuburg (Österreich)

Thema: Entschädigung für die Unannehmlichkeiten, die sich aus der Umleitung eines Fluges zu einem Flughafen ergeben, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber im selben geografischen Gebiet liegt, insbesondere

Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 6 – Verspäteter Flug – Art. 8 Abs. 3 – Umleitung eines Fluges zu einem anderen Flughafen, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient – Begriff ‚Annullierung‘ – Außergewöhnliche Umstände – Ausgleichsleistungen für Fluggäste bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen bei der Ankunft – Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung vom tatsächlichen Ankunftsflughafen zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen“

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