Urteil des Gerichtshofs vom 20.12. 2017 in der Rechtssache C-649/16, Peter Valach, Alena Valachova, SCE Europa SC ZV II a.s., SC Europa LV a.s.  etc. gegen Waldviertler Sparkasse Bank AG, Ceskolovenska obchodna banka a.s., Stadt Banska Bystrica  –  Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV (oberster Gerichtshof in Österreich)

Folgende Themen standen im Mittelpunkt der Entscheidung: Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Anwendungsbereich – Klage auf deliktischen Schadensersatz gegen die Mitglieder eines Gläubigerausschusses, die einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren abgelehnt haben.

Das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 1 Absatz 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen, in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, sowie Vorschriften des slowakischen Rechts.

Sachverhalt

Über das Vermögen der der slowakischen Gesellschaft VAV invest  wurde in der Slowakei ein Sanierungsverfahren eröffnet. Die Waldviertler Sparkasse Bank AG, die Ceskolovenska obchodna banka a.s. und Stadt Banska Bystrica  wurden zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses bestellt.

VAV invest legte entsprechend den Vorschriften des slowakischen Insolvenzgesetzes einen Sanierungsplan vor. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses lehnten diesen Plan ab, ohne eine genaue und nachvollziehbare Begründung vorzulegen. Dies führte zum Scheitern des Sanierungsverfahrens und damit zur Eröffnung eines Konkursverfahrens.

Herr V. und Frau V. behaupteten aufgrund der Ablehnung des Sanierungsplanes einen großen Wertverlust ihrer Gesellschaftsanteile an VAV invest und einen Gewinnverlust erlitten zu haben. Darüber hinaus sollen weitere Gesellschaften aufgrund des drohenden Scheiterns von Bauprojekten bzw. deren Verzögerungen ebenfalls geschädigt worden sein.

Die Kläger erhoben beim Landesgericht Krems an der Donau (Österreich) eine Klage und führten an, dass die Mitglieder des Gläubigerausschusses die allgemeine Präventionsobliegenheit nach § 415 des slowakischen Bürgerlichen Gesetzbuches sowie ihre Pflicht nach dem slowakischen Insolvenzgesetz als Mitglieder des Gläubigerausschusses verletzt hätten. Es müsse im Interesse aller Gläubiger gehandelt werden. Eine Haftung nach § 420 des slowakischen Bürgerlichen Gesetzbuches würde daher vorliegen.

Das Landesgericht Krems erklärte sich für international unzuständig.

Es war der Auffassung, dass die vor ihr erhobene Haftungsklage in engem Zusammenhang mit der Funktion der Beklagten als Mitglieder des Gläubigerausschusses und den sich daraus ergebenden Pflichten nach dem slowakischen Insolvenzgesetzes stehen würde. Folglich sei gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 die Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung zu bestimmen, sondern vielmehr nach der Verordnung Nr. 1346/2000.

Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/3012 bestimmt:

„Sie (die Verordnung) ist nicht anzuwenden auf:

  1. ….
  2. Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren,

……“

Gegen diese Entscheidung wurde ein Rechtsmittel an das Oberlandesgericht Wien eingelegt. Dieses bestätigte die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts. Die in Fragen stehende Klage gehöre zu Insolvenzverfahren, weil sie sich auf die Verpflichtungen eines nach dem Insolvenzverfahren vorgesehenen obligatorischen Organs beziehe.

Gegen diese Entscheidung erhoben die Kläger Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof in Österreich. Der oberste Gerichtshof hatte Zweifel hinsichtlich der Abgrenzung zwischen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 und der der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000.

Vorlagefrage

Der oberste Gerichtshof in Österreich hat deshalb beschlossen, das nationale  Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der EU folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass eine auf einen deliktischen Schadenersatzanspruch gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses wegen ihres rechtswidrigen Abstimmungsverhaltens über einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren gestützte Klage der Inhaber von Geschäftsanteilen an der Gemeinschuldnerin – wie [Herr Valach und Frau Valachová] – und der in Geschäftsbeziehung mit der Gemeinschuldnerin stehenden Projektgesellschaften – wie [SC Europa ZV II, SC Europa LV, VAV Parking, SC Europa BB und Byty A] – im Sinn von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 die Insolvenz betrifft und daher vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist?

 Begründung des Gerichtshofs

Um die Frage des Obersten Gerichtshofs von Österreich beantworten zu können, ist es notwendig, den Umfang der Zuständigkeit des Gerichts zu bestimmen das das Insolvenzverfahren eröffnet hat.  Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, die in Zivil und Handelssachen anzuwenden ist, nimmt Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren vom Anwendungsbereich dieser Verordnung aus.

Die Verordnungen Nr. 1215/2012 und Nr. 1146/2000 müssen so ausgelegt werden, dass jede Regelungslücke oder Überschneidung zwischen den beiden Verordnungen vermieden wird. Klagen fallen demnach entweder unter die Verordnung Nr. 1215/2012 oder unter den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000.

Nach einer Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU fallen Klagen die sich unmittelbar und direkt aus einem Insolvenzverfahren ergeben und in engem Zusammenhang mit ihm stehen nicht unter den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012.

Vorliegend sei daher zu klären, ob eine deliktische Schadensersatzklage gegen die Mitglieder eines Gläubigerausschusses im Rahmen eines Sanierungsverfahrens diese beiden Kriterien (unmittelbar/direkt und enger Zusammenhang) erfülle.

Im Ausgangsverfahren wird die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses geltend gemacht, der den vorgelegten Sanierungsplan abgelehnt hat. Wegen dieser Ablehnung wurde das Konkursverfahren eröffnet. Da die Kläger des Ausgangsverfahrens der Ansicht waren, dass der Gläubigerausschuss rechtswidrig gehandelt habe, erhoben sie Schadensersatzklage.

Nach slowakischen Insolvenzrecht gebe es zwei Lösungswege die man unterscheiden müsse, zum einen der Sanierungsverfahren und zum anderen das Konkursverfahren. Wird im Sanierungsverfahren der Sanierungsplan vom Gläubigerausschuss abgelehnt oder wird nicht innerhalb einer bestimmten Frist eine Entscheidung getroffen, muss der Insolvenzverwalter unverzüglich die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragen. Die Schadensersatzklage gegen die Mitglieder des Gläubigerausschusses sei damit die unmittelbare und untrennbare Folge der Tatsache,  dass der Gläubigerausschuss als ein obligatorisches Organ die Funktion ausübt, die er aufgrund nationaler Bestimmungen erfüllen muss.

Was das zweite Kriterium angeht (die Klage muss in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen), entscheidet sich dieses entsprechend der  Rechtsprechung des Gerichtshofes der EU nach der Enge des Zusammenhangs der zwischen einer gerichtlichen Klage und dem Insolvenzverfahren besteht.

Vorliegend ist festzustellen, dass der Umfang der Pflichten des Gläubigerausschusses in Insolvenzverfahren noch slowakischen Recht einen solchen engen Zusammenhang aufweist.

Damit wird die deliktische Schadensersatzklage des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. b  der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 von deren Anwendungsbereich ausgenommen.

Entscheidung des Gerichtshofs (Erste Kammer)

„Art. 1 Absatz 2B der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ärsche Entscheidungen in Zivil und Handelssachen bis dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auf eine deliktische Schadensersatzklage anzuwenden ist, die gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses wegen ihres Verhaltens bei der Abstimmung über einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren erhoben worden ist, und dass eine solche Klage folglich vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.“

 

Hinweis: Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren wurde durch die Verordnung (EU) 2015/848 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren aufgehoben.

Diese neue Verordnung ist auf solche Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 26. Juni 2017 eröffnet worden sind. Für Rechtshandlungen des Schuldners vor diesem Datum gilt weiterhin das Recht, das für diese Rechtshandlungen anwendbar war, als sie vorgenommen wurden.

Für Verfahren die vor dem 26. Juni 2017 eröffnet wurden, gilt weiterhin die Verordnung (EG) Nr. 1146/2000.